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Das multiethnische Bessarabien

(Teil 2 von 5)

Wie kam es nun eigentlich zu dieser gemischten Bevölkerungsvielfalt?

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n vorchristlicher Zeit war das Gebiet Bessarabien in Handel, Kultur und Religion eng mit Griechenland und dem ostmediterranen Raum verbunden. So wurde das Schwarze Meer mit seiner Küstenlandschaft schon damals mit dem griechisch-lateinischen Namen "Pontus Euxinus" als „gastliches Meer“ bezeichnet.

Pontus Euxinus
Pontus Euxinus

 

Im siebten vorchristlichen Jahrhundert kamen ionische Griechen als Händler in das Gebiet Bessarabien und gründeten am Nordrand des Schwarzen Meeres und auf der Krim ihre ersten Siedlungen (Olbia an der Bugmündung, Tyras1 am Westufer des Dnister-Limans2, Chersones auf der westlichen Krim).

griechische Kolonien am Schwarzen Meer
griechische Kolonien am Schwarzen Meer

 

Zur Zeit der Völkerwanderung (375-568) und danach diente Bessarabien als Durchgangsstation für germanische Stämme, wie Ostgoten und unterschiedliche asiatische Reitervölker, wie Kimmerier, Skythen und Hunnen.

das Gebiet Bessarabien zur Zeit der Völkerwanderung
das Gebiet Bessarabien zur Zeit der Völkerwanderung

 

Bessarabien von 1812-1940
Bessarabien von 1812-1940

Im Mittelalter entstanden dann am Rande des Gebietes Bessarabien, zur Zeit der tatarischen Goldenen Horde3 (13. Jahrhundert) und später unter moldauischer (1360), walachischer (Ende des 14. Jahrhunderts) und osmanischer Oberhoheit (15. Jahrhundert), weitere befestigte Handelsplätze mit einer gemischten Bevölkerung.

Städte wie Hotin, Soroca, Bălți, Orhei, Chișinău, Hîncești, Bender, Leowa, Komrat, Cahul, Bolgrad, Ismajil und Kilija stammen aus dieser Zeit.

Nachwirkungen dieser früheren Bewohner finden sich bis heute in Orts- und Geländebezeichnungen, in einer Reihe von Fremdwörtern in der Sprache und nicht zuletzt auch im Speisezettel.

 

baumlose Steppenlandschaft
baumlose Steppenlandschaft

Der Rest des Gebietes war endloses flaches Steppenland, das weitgehend nomadisierenden muslimischen Vieh-hirten überlassen blieb, von denen ein großer Teil nach dem Übergang der Staatshoheit vom Osmanischen Reich zum Zarenreich im Jahr 1812 in das verbliebene osmanische Gebiet weiterzogen.

 

1812 war das Land Bessarabien schätzungsweise von einer viertel bis knapp einer halben Million Menschen bewohnt.

 

das Fürstentum Moldau (1359 -1418)
das Fürstentum Moldau (1359 -1418)

Als Bessarabien noch zum Fürstentum Moldau gehörte, lebten in diesem Gebiet rumänisch-sprachige Moldauer, vor allem in dessen nördlichem Teil, wo sie schon bald die Bevölkerungs-mehrheit bildeten.

 

Aus dem Osten des Zarenreiches zogen im 17. Jahrhundert Russen und Ukrainer nach Bessarabien, die vor allem im Nordosten und Südosten siedelten.

 

Eine besondere Gruppe waren die „altgläubigen“ russischen Lipowaner, die in osmanischer Zeit auf der Flucht vor Verfolgung durch den russischen Staat im abgelegenen Donaudelta einen Zufluchtsort gefunden hatten.

 

Die ersten Juden kamen wahrscheinlich schon im 2. Jahrhundert in das Gebiet Bessarabien, zu einer Zeit also, als dieses Gebiet, als Moesia Inferior, zum Römischen Reich gehörte.

Moesia Inferior im Römischen Reich 117 n. Chr.
Moesia Inferior im Römischen Reich 117 n. Chr.

 

Ende des 14. Jahrhunderts werden jüdische Fernhändler erwähnt, die entlang der großen Handelsstraßen, die über Polen zur Krim und nach Konstantinopel führten.

Im 15. Jahrhundert, nach der Vertreibung der Juden aus Spanien, kamen „sefardische“ Händler aus dem osmanisch beherrschten Mittelmeerraum nach Bessarabien, später jedoch auch aus dem polnisch-litauischen Raum.

 

der Ansiedlungsrayon im Russischen Reich
der Ansiedlungsrayon im Russischen Reich

Der sogenannte „Ansiedlungs-rayon“, der zunächst durch die Polnischen Teilungen (1772, 1792, 1795) zum Zarenreich hinzugewonnen Territorien umfasste und in dem sich Juden ohne besondere Genehmigung ständig aufhalten durften, wurde 1818 auch auf Bessarabien ausgeweitet, wo sich Juden vor allem in den Städten und Marktflecken im Norden niederließen. Bald erlangten sie in einer Reihe von Städten Nordbessarabiens (Orgejew, Soroki, Belzy, Chotin) die Bevölkerungsmehrheit. In der Hauptstadt Chişinău lag der jüdische Bevölkerungsteil bei 46%.

 

Ende des 18. Jahrhunderts zogen dann auch einzelne bulgarische4 orthodoxe Familien als Emigranten in die Gegend von Ismajil, um dort Schutz vor dem muslimischen Osmanischen Reich zu finden. In Anknüpfung an diese Ansiedlung wurden ab 1819 weitere Bulgaren in der Umgebung der Stadt Bolgrad im Südwesten Bessarabiens planmäßig angesiedelt.

eine bulgarische Familie
eine bulgarische Familie

 

Ähnlich wurde die Ansiedlung der turksprachigen, aber christlichen Gagausen5 gefördert, die sich im Umkreis der Stadt Komrat in Südwestbessarabien niederließen, auch bei ihnen in Anlehnung an eine frühere Einwanderung.

eine gagausische Familie
eine gagausische Familie

 

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1Tyras = die 600 v. Chr. von den ionischen Griechen gegründete Stadt Tyras gehört zu den ältesten Städten der Welt; die Phönizer nannten sie Ophiussa, die Griechen Makaphon und ab 400 vor Chr. wurde sie Tyras (nach dem gleichnamigen Fluss) genannt. In römischer Zeit hieß die Stadt Alba Julia; die slawischen Stämme nannten sie Belgorod (weiße Stadt), seit dem 10. Jahrhundert sind die Namen Maurocastro und Aspocastro bekannt; die Kumanen bezeichneten die Stadt im 12. Jahrhundert als Barmunia und Ak-Libo; Ende des 13. Jahrhunderts bekam sie den Namen Moncastro oder Malvocastro. Unter den moldauischen Fürsten gehörte die Stadt, jetzt Cetatea Albă (weiße Zitadelle) genannt, zu einem Verteidigungsgürtel gegen die Mongoleneinfälle. Nach der Eroberung 1484 durch türkische Heere hieß sie Akkerman (aq = weiß und kerman = Stadt). Nach dem Anschluss Bessarabiens an Rumänien (1918) erhielt die Stadt wieder ihren moldauische Namen Cetatea Albă. Heute heißt sie Bolgorod Dnjestrowski.

2Liman = Einbuchtungen - typisch für die Schwarzmeerküste; der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet Meeresbuchten, die aus versunkenen Flussmündungen entstanden sind.

3 Goldene Horde = Bezeichnung für mongolische und türkische Krieger, die in Osteuropa einfielen; gleichzeitig der Name eines historisches mongolisches Teilreiches in Osteuropa und Westsibirien, das Batu Khan 1251 an den Ufern der Wolga errichtete. Die Goldene Horde überquerte 1237 den Fluss Ural und stieß bei ihrem von Plünderungen, Morden und Brandstiftungen begleiteten Eroberungszug bis ins Zentrum der russischen Fürstentümer vor. Moskau und Kiew wurden quasi dem Erdboden gleichgemacht und die Bevölkerung niedergemetzelt. Die Goldene Horde beherrschte das heutige Südrussland bis Ende des 15. Jahrhunderts. Von Russland aus drängte die Goldene Horde weiter nach Polen, Schlesien und Ungarn.

4Bulgaren = einzelne bulgarische Familien kamen schon 1770, 1790 und 1806 als Emigranten in die Gegend von Ismail, in den Budschak nach Südbessarabien, um Schutz vor dem Osmanischen Reich zu finden. 1812, nachdem Bessarabien zum Russischen kam, lebten bulgarische Kolonisten in 60 Dörfern Bessarabiens.
Größere Gruppen wanderten im Rahmen der russischen Ansiedlungen nach der endgültigen russischen Übernahme von 1812 ein. Sie ließen sich westlich von Ismajil bei der Stadt Bolgrad und auf den von den Tataren verlassenen Gebieten im Süden nieder.
1819 erhielten die 24.000 in Bessarabien lebenden Bulgaren eine Selbstverwaltung und den Kolonistenstatus, der mit Privilegien verbunden war. 1927 lebten zirka 150.000 Bulgaren in Bessarabien.

5Gagausen = christliche Volksgruppe im autonomen Gebiet Gagausien in Moldawien, im Südosten von Bessarabien, sowie in Russland, der Ukraine, Rumänien und Bulgarien; als Vorfahren der Gagausen gelten die Turkölker der Petschenegen und der Kyptschaken.

 

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