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Die Ständegesellschaft im Mittelalter

 

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Hexenverfolgung
Hexenverfolgung

as Mittelalter gilt in der heutigen historischen Forschung als das "finstere Zeitalter", das von Hexenverfolgungen, Kreuzzügen und von der streng gegliederten ständischen Gesellschaft bestimmt war.

 

Die Welt des Mittelalters war eine aristokratische Welt. Staat und Gesellschaft wurden vom Adel beherrscht. Das Volk auf dem Land war zum größten Teil abhängig, unfrei in mannigfaltigen Abstufungen. Es hatte zu gehorchen, zu arbeiten und Abgaben zu entrichten. Zu sagen hatte es nichts.

aus: Helmut Kämpf: Herrschaft und Staat im Mittelalter, 1960;

 

Die Ständegesellschaft ab dem 10. Jahrhundert

Seit dem 10. Jahrhundert war die Gesellschaft weitgehend statisch und wurde meist unter funktionalen Gesichtspunkten gegliedert. Nach mittelalterlicher Vorstellung war die hierarchische Gliederung der Gesellschaftsordnung der Menschen von Gott gegeben, in der jeder zeitlebens seinen unveränderlichen Platz hatte.

Für den 2. und den 3. Stand galt, dass jeder in seinen Stand hineingeboren wurde. Ein Aufstieg in den 1. Stand war sehr schwierig und in der Regel nicht möglich, da es gegen die gottgewollte Ordnung verstoßen hätte.

 

Der mittelalterliche Dichter Wernher der Gartenære1 schildert in seinem Epos „Meier Helmbrecht“ (um 1280) eindringlich, welche Folgen es haben konnte, wenn man die Standesschranken überschreiten wollte:

 

Meier Helmbrecht

Der junge Helmbrecht, Sohn eines reichen Bauern und Gutsverwalters (Meier), findet kein Gefallen mehr an der schweren Bauernarbeit, sondern strebt nach Höherem. Er will sein Leben genießen und Ritter werden.

Meier Helmbrecht
Meier Helmbrecht"

Er staffiert sich mit vornehmen Gewändern aus, hört nicht auf die Warnungen des Vaters und verlässt den elterlichen Hof um Abenteuer zu erleben. Er schließt sich einem Raubritter an, und als „Bauernschreck“ terrorisiert er mit seinen Spießgesellen2 das Land. Doch die Vergeltung bleibt nicht aus.

Das Räubernest wird ausgehoben, die Raubritter werden hingerichtet. Helmbrecht selbst kommt als warnendes Beispiel verstümmelt und geblendet mit dem Leben davon. Als verlorener Sohn kehrt er zum Elternhaus zurück. Obwohl es dem Vater fast das Herz bricht, jagt er ihn davon. Die von ihm ausgeplünderten und misshandelten Bauern nehmen ihn schließlich gefangen und hängen ihn auf.

 

Verdienst oder Reichtum hatten nur wenig Einfluss darauf, welchem Stand man angehörte.

In dieser Ordnung „stand“ jeder auf dem Platz, der ihm von der Geburt an zugewiesen war. Dass Adel und Geistliche über die Bauern herrschten und von deren Abgaben lebten, sei Gottes Wille gewesen.

Der Bauer - der 3. Stand trägt die Last der anderen zwei Stände. Er stützt sich dabei auf seine Hacke, aus seiner Tasche hängen Zettel mit Steuern, Zehnt, Fron- und Militärdienst, seine Saat wird von gefräßigen Rebhühnern und Hasen aufgefressen (adliges Jagdprivileg). Der Abbé ist geprägt von Prunksucht, der Degen des Herzogs ist von Blut gerötet.
Die Bauern tragen die Last
der anderen zwei Stände

Er allein bestimmte die gesellschaftliche Stellung eines jeden Menschen, d.h. er hatte jedem Menschen eine seinem Ordo3 angemessene Aufgabe zugewiesen, die jeder erfüllen musste, wenn er das ewige Heil erlangen wollte.

Zwar galt nach mittelalterlicher Vorstellung die Gleichheit aller Menschen, die aber erst im Jenseits verwirklicht werden konnte. Auf Erden hingegen waren, nach kirchlicher Lehre, die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der Besitz- und Machtverteilung Gottes Wille. Veränderungen in der hierarchischen Gesellschaftsstruktur oder menschlicher Aufstiegswille wurden deshalb als schwere Verstöße gegen die göttliche Weltordnung interpretiert.

 

Das Ständemodell

Ritter und Fürst aus dem 13. Jahrhundert
Ritter und Fürst aus dem 13. Jahrhundert

Das Modell der drei Stände (Geistliche, Ritter, Bauern) war nie vollkommen realistisch gewesen. Die bisher unangetastete, „von Gott gewollte“ Ordnung brach im 13. Jahrhundert langsam auseinander. Die Kleriker wurden der vrâzheit (Gefräßigkeit) bezichtigt, die Ritter wurden zu Räubern.

Angesichts dieser Missstände sahen auch die Bauern keinen Sinn mehr darin, sich ihrem Stand gemäss zu verhalten. Da den Geistlichen und Adligen allmählich ihre Abhängigkeit von der Arbeit der bäuerlichen Bevölkerung klar wurde, weil die Bauern sich immer häufiger dieser Arbeit entzogen, kam die Kirche nicht mehr umhin, die ehemals verachtete bäuerliche Arbeit gesellschaftlich aufzuwerten. Deshalb wurde der so genannte Tugendadel eingeführt. So konnte nun ein Bauer Tugenden wie êre (Ehre), staete (Beständigkeit) und triuwe (Treue) besitzen, die zuvor per Herkunftsadel für die Ritter reserviert waren. Diese Tugenden besaß er aber nur dann, wenn er sich standesgemäß verhielt.

 

Die Ständegesellschaft ab dem 14. Jahrhundert

Bauer im Gehrock
Bauer im Gehrock

Seit dem 14. Jahrhundert wurde es nach und nach Praxis, dass die Fürsten die Bildung des so genannten Amtsadels förderten, also Angehörige des 3. Standes mit einem speziellen Amt beauftragten und sie mit einem Adelstitel belohnten.

Auch innerhalb der drei Hauptstände war ein Aufstieg in der frühen Neuzeit keine Seltenheit, indem man zum Beispiel das Bürgerrecht einer Stadt erwarb.

Der Abstieg aus dem Geburtsstand konnte erfolgen, wenn man zum Beispiel als Adliger aus finanziellen Gründen nicht mehr zu einer standesgemäßen Lebensweise in der Lage war. Trotzdem wurde das ständische Gesellschaftsmodell bis ins 18. Jahrhundert hinein nie grundsätzlich in Frage gestellt. Auch die Kirche hielt zäh daran fest.

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1 Wernher der Gartenære (Gärtner) war mittelhochdeutscher (vermutlich österreichischer) Erzähler, der in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts geboren wurde. Über sein Leben ist wenig bekannt. Er war wohl als fahrender Dichter im Donauraum unterwegs.

2 Spießgeselle = ursprünglich: Waffengefährte; Synonym für Mittäter, Kumpan.

3 Ordo = Stand, Klasse; Hinordnung alles Weltlichen auf Gott (im Mittelalter); Rangordnung von ethischen Werten, durch die ein Mensch sich in seinem Verhalten bestimmen lässt;

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