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Ignaz Lindl und seine Anhänger

(Teil 2 von 4)

 

Martin Boos
Martin Boos

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ber Württemberg blieb nicht das einzige Territorium, aus dem Separatisten nach Russland abwanderten.

In den 1790er Jahren entstand unter Einfluss von dem württembergischen Pietismus innerhalb der bayerischen katholischen Kirche die Allgäuer Erweckungsbewegung. Ihre führenden Persönlichkeiten waren die katholischen Pfarrer Martin Boos und Johannes Evangelista Goßner.

Über Goßner gelangte die Bewegung nach München, wo der Goßner-Schüler Ignaz Lindl um 1812 den innerkirchlichen bayerischen Separatismus begründete, der entscheidend von den Werken des pietistischen Schriftstellers Johann Heinrich Jung-Stillings geprägt war.

Maximilian Graf von Montgelas
Maximilian Graf von Montgelas

Dass sich ein solches Phänomen innerhalb der Katholischen Kirche entwickeln konnte, verdankte Lindl vor allem dem Einsatz des bayerischen Reformpolitikers Maximilian Graf von Montgelas für eine tolerante Religionspolitik. Im bayerischen Religionsedikt von 1803 wurde den Protestanten Gottesdienste, Niederlassungs-freiheit und Gleichberechtigung garantiert.

Die bayerischen Behörden, die auf Goßners und Lindls Treiben 1819 aufmerksam wurden, dachten freilich weniger im Sinne des Staatswohls und verwiesen die Separatisten (Goßner und Lindl) des Landes.

Alexander I.
Alexander I.

Goßner reiste daraufhin einige Zeit in verschiedenen Ländern, unter anderem in Russland, umher. Lindl brach nach Russland auf, um dort unter Alexanders I. Schutz und Anstellung zu finden.

Lindls Aufbruch nach Russland klicke hier

 

Lindl bekam in Odessa seinen Amtssitz zugewiesen und wollte nun dort für seine Anhänger eine "wahrhaft christlich-apostolischen Gemeine Gottes" nach Art der Herrnhuter Brüdergemeine1 gründen.

Ignaz Lindls Wirken in Odessa klicke hier

 

Lindls anfeuernde Sendschreiben zur Auswanderung und die Privilegien lösten unter seinen Anhängern in der alten Heimat eine Art Volksbewegung aus. Die Losung hieß: "Auf nach Rußland!".

Eine rege Werbetätigkeit setzte ein.

..... Sie sprachen von der schönsten und fruchtbarsten Gegend, einem wahren Paradies mit zweimaliger Ernte und der Platz zur Ansiedlung sei auch schon bestimmt. Die Auswanderungswilligen hätten sich um nichts zu kümmern.

aus: Bauernzeitung aus Frauendorf vom 18. Mai 1822: Ist es rathsam, nach Rußland auszuwandern?

 

Bibelstunde

Organisiert wurde die bevorstehende Massenauswanderung durch den wohlhabenden Kaufmann Christian Friedrich Werner (1759-1823) in Giengen, der vom Buchbinder Jakob Maier aus Lauingen sehr unterstützt wurde, und Christoph Friedrich Ploucquet (1781-1844) in Heidenheim, in deren Häusern sich Lindls Anhänger zu Erbauungsstunden (Collegia Pietatis) trafen.

Es waren nur tüchtige und wohlhabende Bauern und Handwerker erwünscht. Die Auswanderungswilligen mussten sich bei den russischen Vertretern melden und dabei amtliche Papiere vorlegen. Dazu gehörten u.a.: Pass, Zeugnis über einen bisher gut geführten Lebenswandel, Bescheinigung oder sichere Bürgschaft, ein Vermögen in bar oder Waren von mindestens 300 Gulden.

Wer das Barvermögen nicht nachweisen konnte, war von der Einwanderung in Russland ausgeschlossen, ebenso kinderlose Ehepaare und Unverheiratete. Letztere durften nur einreisen, wenn sie in einem Familienverband aufgenommen wurden.

Ignaz Lindl
Ignaz Lindl

Auf die Frage, warum sie Lindl nach Russland folgen wollten, antworteten sie, weil Lindl dort eine Brüdergemeine1 errichten wolle, in der sie und ihre Kinder ungehindert leben könnten. Andere wiederum unter Hinweis auf das unmittelbar drohende Erscheinen des Antichrists, wollten sich vor den befürchteten Verfolgungen retten.

Damit war zugleich die Wiederkunft Christi auf Erden und der Anfang seines tausendjährigen Friedensreiches näher gerückt.

 

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1 Ernst Staehelin: Die Christentumsgesellschaft in der Zeit von der Erweckung bis zur Gegenwart. Texte aus Briefen, Protokollen und Publikationen (Theologische Zeitschrift/Sonderband; 4). Reinhardt, Basel 1974, S. 384f.;

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