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Das Leben mit anderen Nationalitäten

(Teil 2 von 4)

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eine gagausische Familie
eine gagausische Familie

rundlage des sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelnden Zusammen-lebens war gegenseitiger Respekt vor der jeweiligen Eigenart. Die Identität der Bewohner wurde nicht durch die gemeinsame Zugehörigkeit zum Zarenreich definiert, sondern durch die Zugehörigkeit zu der jeweiligen sprachlich, religiös und durch weitere Kennzeichen bestimmte Ethnie. Auf dieser allgemein anerkannten Grundlage konnte man sich selbstbewusst und ohne Angst vor Überfremdung begegnen.

 

mein Vater Hugo Hiller (rechts) und sein Bruder Willi Hiller in Sonntagstracht, dem Russenhemd, um 1926
mein Vater Hugo Hiller (rechts) mit
seinem Bruder Willi Hiller in Sonntagstracht,
dem Russenhemd, um 1926

Natürliche Begegnungsorte waren Markt-flecken, wo die Angehörigen der unterschiedlichen ethnischen Gruppen aufeinandertrafen und bis in die 1930er Jahre eigentlich schon an ihrer Kleidung zu erkennen waren: Bulgaren1 an der roten Bauchbinde (Pojas) und den selbstgefertigten Schuhen (Babuschen), Moldauer an der hellen Leinenkleidung mit charakteristischen Stickereien, Russen am über der Hose getragenen Russenhemd, Juden oft noch an Kaftan, Kippa und besonderer Haartracht (Schläfenlocken „Peies“ bei den Männern und Perücke „Scheitel“ bei den Frauen), deutsche Männer an Schaftstiefeln, deutsche Frauen am „großen Tuch“, das als Mantelersatz diente. Über die ethnischen Grenzen hinweg trugen viele Männer im Winter die wärmende Schaffelmütze, die „Pudelkapp“.

mein Vater Hugo Hiller hilft beim Brot holen
mein Vater Hugo Hiller mit Pudelmütze hilft beim Brot holen, um 1940

 

Regelmäßige Kontakte im Alltag entstanden mit der Zeit dadurch, dass mit wachsendem Wohlstand der Deutschen immer mehr Personal aus den Nachbarorten eingestellt wurde: Hirten für die Rinder- und Schafherden, Gesellen bei Handwerkern, Knechte und Mägde auf den Bauernhöfen.

Besonders die letzten lebten in enger Gemeinschaft mit ihren Arbeitgebern, nahmen z. B. an den Mahlzeiten und an den dazugehörigen Andachten teil, was auch den Austausch auf dem Speisezettel erklärt.

Holubzi
Holubzi

So lernten Deutsche neben ihren mitgebrachten Mehlspeisen das rumänische Nationalgericht, den Maisbrei „Mămăligă“ schätzen, von ihnen „Mamlik“ genannt, oder die ukrainischen Krautwickel „Holubzi“ (Täubchen), oder die russische Gemüsesuppe „Borschtsch“ und auch die russischen Osterbrote „Paska“ und „Kulitsch“; das bessarabiendeutsche Nationalgericht, „Strudla“ (Strudeln) mit Kartoffeln und Fleisch, scheint aus der bulgarischen Nachbarschaft zu sein, da sie ähnliche Speisen kennen.

Andererseits lernten die Mitarbeiter selbstverständlich die Sprache ihrer Arbeitgeber.

beim Heu einholen
Sofiental beim Heu einholen

Einer der Hauptgründe der jungen Leute aus den Nachbarorten bei Deutschen in Stellung zu gehen, war das Erlernen von land-wirtschaftlichen und hand-werklichen Fähigkeiten, die sie im eigenen Umfeld nicht kannten und, weil die Deutschen gut bezahlten.

 

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1 Bulgaren = einzelne bulgarische Familien kamen schon 1770, 1790 und 1806 als Emigranten in die Gegend von Ismail, in den Budschak nach Südbessarabien, um Schutz vor dem Osmanischen Reich zu finden. 1812, nachdem Bessarabien zum Russischen kam, lebten bulgarische Kolonisten in 60 Dörfern Bessarabiens.
Größere Gruppen wanderten im Rahmen der russischen Ansiedlungen nach der endgültigen russischen Übernahme von 1812 ein. Sie ließen sich westlich von Ismajil bei der Stadt Bolgrad und auf den von den Tataren verlassenen Gebieten im Süden nieder.
1819 erhielten die 24.000 in Bessarabien lebenden Bulgaren eine Selbstverwaltung und den Kolonistenstatus, der mit Privilegien verbunden war. 1927 lebten zirka 150.000 Bulgaren in Bessarabien.

 

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