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Die Bedeutung der Religion
für das Zusammenleben in Bessarabien

orthodoxe Kirche in Chișinău
orthodoxe Kirche in Chișinău

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in ganz wesentlicher Faktor für das Zusammenleben verschiedener Nationalitäten war die religiöse Zuordnung: Die meisten Bewohner Bessarabiens waren Angehörige orthodoxer Kirchen unter der Moskauer Jurisidiktion, wenn auch in spezieller Ausprägung als russische, ukrainische, moldauische, bulgarische, gaugasische Orthodoxen.

Die Deutschen waren weit überwiegend Lutheraner, wenige hundert reformiert (calvinistisch) oder baptistisch.

Die Mutterkolonie Krasna, die 1814 gegründet wurde und deren drei Tochterkolonien Emmental (1886), Balmas (1887) und Larga (1896) waren katholisch. Ab 1876 gab es auch eine Baptistengemeinde mit sieben Niederlassungen [Friedenstal (1834), Seimeny (1867), Kantemir (1886), Mariewka (1892), Kamtschtka (1893), Hantscheschti (1898), Kisil (1909)].

 

Hochzeit meiner Großeltern Friedrich Johs und Amalie Klaudt am 12.5.1912 in Klöstitz (Bessarabien)
Hochzeit meiner Großeltern
Friedrich Johs und Amalie Klaudt am 12.5.1912
in Klöstitz (Bessarabien)

Übertritte in andere Religionen erlaubte die Gesetzgebung des Zarenreiches nur zur orthodoxen Staatskirche, jedoch nicht von ihr zu einer anderen Kirche oder Religion. Das trug wesentlich zur soziologischen Abgeschlossenheit der einzelnen ethnischen Gruppen bei.

Allerdings erschwerten auch die unterschiedlichen Sprachen, Sitten und Gebräuche eine Verheiratung zwischen orthodoxen Bulgaren, Moldauern, Russen usw. sehr.

 

Lediglich den Juden und auch den Muslimen, die in Bessarabien kaum vertreten waren, war der Übertritt nicht nur zur orthodoxen Kirche, sondern auch, mit jeweiliger spezieller Genehmigung, auch zur protestantischen Kirche gestattet.

 

Die religiöse Situation bei den Bessarabiendeutschen?

Warschauer Kolonisten
Warschauer Kolonisten

Die deutschen Kolonien wurden schon von den Planern der Ansiedler so vorgesehen, dass in der Mitte jedes Ortes (von den „Warschauer Kolonisten“ aus dem Herzogtum Warschau1 nach ostdeutschem und polnischem Vorbild „Ring“ genannt), Platz für Kirche und Schule gelassen wurde, wodurch die Wichtigkeit dieser Bauten und ihre Funktion für das Gemeinwesen unterstrichen wurde.

 

1815, ein Jahr nach der Gründung der ersten Kolonien wurde der erste Pastor Friedrich Wilhelm Schnabel (1815-1820) von der Kirchenbehörde in St. Petersburg von Smolensk ins Kirchspiel Tarutino entsandt; 1819 kam ein zweiter Pastor ins Kirchspiel Arzis.

 

Auswanderer
Auswanderer

Die ersten Siedler, die "Warschauer Kolonisten", hatten in der im polnischen Raum noch wenig ausgebauten Struktur der evangelischen Kirche nach Augsburger Bekenntnisses2 oft nur vereinzelte pastorale Betreuung erfahren.

In Bessarabien trafen sie nun mit anderen Kolonisten zusammen, die ab 1816 aus Württemberg und ab 1822 auch aus Bayern auf dem Landweg über österreichisches Gebiet oder auf der Donau durch osmanisches Hoheitsgebiet auf Ulmer Schachteln3 gekommen waren.

Ulmer Schachtel
Ulmer Schachtel

Unter ihnen waren auch religiöse Gruppen von Anhängern des Pietismus, die ihre Gruppen "Harmonien der Kinder Gottes" nannten, und die sich von der damals rationalistisch4 geführten württembergischen Kirche los-gesagt hatten. Sie waren auf dem Weg in den Kaukasus, wo sie einen Bergungsort in der herein-brechenden Endzeit zu finden hofften (Kaukasiendeutsche).

mehr zur Lage in Württemberg ...... Auswanderungsgründe 

 

Reiseweg der Kaukasiendeutschen
Der Auswanderungsweg der Kaukasiendeutschen

 

Schon während der Schiffsreise brachen Krankheiten aus und von Anfang an gab es Todesfälle, die immer mehr zunahmen.

Donau
die Donau

 

Der Höhepunkt der Katastrophe ereignete sich aber während der wochenlangen Quarantäne (7 Wochen und länger) unter freiem Himmel auf einer Donau-Flussinsel, Todesinsel5 genannt, vor der bessarabischen Grenzstadt Ismajil.

Durch Mangel an Nahrung und sauberem Wasser brachen bald Epidemien aus, denen ein großer Teil der Auswanderer zum Opfer fiel. Nach Augenzeugenberichten waren in Ismajil innerhalb von 24 Tagen 1.328 Menschen gestorben.

Bei der Ankunft in Odessa war mehr als die Hälfte den Strapazen und Krankheiten zum Opfer gefallen.

Auswanderer
Auswanderer

Viele dieser radikaler Pietisten ("Chiliasten") entschlossen sich dann nicht nach Transkaukasien weiterzuziehen und gründeten 1817 die Mutterkolonie Teplitz in Bessarabien und 1818 Hoffnungstal6 (heute: Zebrykowe) im Glückstaler Gebiet, zirka 100 km nordwestlich von Odessa. Durch sie kam ein starker religiöser Impuls in die neuen Siedlungen.

 

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1 Herzogtum Warschau = Als nach der 2. Teilung Polens (1793) Großpolen mit Posen, Gnesen und Kalisch und nach der 3. Teilung (1795) auch noch ein Teil Masowiens mit Warschau, dazu Płock und Białystok an Preußen fiel, siedelte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen seit 1800 in den neuen Provinzen „Südpreußen“ und „Neu-Ostpreußen“, auf staatlichen Ländereien aber teilweise auch auf enteigneten polnischen Gütern, 13.800 Personen an, von denen die meisten aus dem Herzogtum Württemberg stammten.
Hier trafen sie auf niederdeutsche Kolonisten, die schon im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts eingewandert waren. Nach der Niederlage Preußens gegen Frankreich im Jahr 1807 wurden diese Gebiete mit dem Kulmer Land und dem Netzedistrikt zum „Herzogtum Warschau“ vereinigt.
Im neu gegründeten französischen Vasallenstaat lebten zirka 2,6 Mio. Menschen, davon waren 79% Polen, 7% Juden und 6% Deutsche. Die alten Herren waren zurückgekommen und die dort ansässigen deutschen Kolonisten verloren nun wieder Haus und Hof, Ernte und Vieh und alle preußischen Privilegien. Fortan mussten sie sich als Tagelöhner bei polnischen Gutsbesitzern verdingen. Bei den Großgrundbesitzern und dem katholischen Klerus Polens befanden sich die Kolonisten nun in einem „persona non grata Zustand“.
Die hohen Pachtzinsen an polnische Adlige und die Plünderungen der geschlagenen französischen “Grande Armée”, die sich auf dem Rückzug befand, stürzten viele deutsche Kolonisten in große Not. Am schwersten betroffen waren die zuletzt angesiedelten kaum verwurzelten Schwaben, die noch keine stabilen Häuser gebaut und ihre Höfe noch nicht eingerichtet hatten.
Da die Regierung kein Interesse an Abwanderungen hatte, versuchte sie im Allgemeinen trotz allem diese Kolonisten von der Emigration abzuhalten. Ausreisen durfte nur, wer seine Schulden gezahlt hatte und ohne Entschädigung auf eventuelle Gebäude und Land verzichtete; allein das bewegliche Vermögen durfte mitgenommen werden.
Als Russland nach der Niederlage Napoleon Bonapartes im Wiener Kongress (1815) den größten Teil des Herzogtums Warschau („Kongresspolen“) erhielt, schien für diese Menschen die Einladung Alexanders I. aus dem Jahr 1813 ein echtes Geschenk Gottes.

2 Das Augsburger Bekenntnis oder auch Confessio Augustana ist die grundlegende Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche, die 1530 Kaiser Karl V. von den Protestanten auf dem Reichstag in Augsburg überreicht wurde. Sie besteht aus 28 Artikeln und behandelt in 2 Teilen den Glauben und die Lehre des Protestantismus und die von ihm beseitigten Missbräuche der katholischen Kirche.

3 Die Ulmer Schachtel, ursprünglich lediglich ein Spottname für die äußerst einfache Konstruktion der Wiener Zille, einem flachbodigen Einweg-Bootstyp, das seit dem Mittelalter auf der Donau der Warenbeförderung diente. Während die Boote anfangs maximal 22 m lang und 3 m breit waren, vergrößerten sich ihre Maße mit der Zeit. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichten sie Größen von bis zu 30 Meter Länge und 7,5 Meter Breite. Die Bordwand dieser Boote hatte eine Höhe von etwa 1,5 Metern.
Auf der Mitte des Schiffes befand sich eine größere Holzhütte. Bei Warentransporten lagerte hier das Handelsgut; bei Auswanderungen war dies der Wetterschutz der Passagiere.
Anfang des 19. Jahrhunderts diente der Bootstyp der Ulmer Schachtel deutschen Auswanderern als Verkehrsmittel, um in die Länder des südöstlichen Europas zu gelangen. Sie schifften sich in Deutschland ein und fuhren die Donau abwärts in Richtung der Mündung ins Schwarze Meer. Die Ulmer Schachtel dient auch heute noch im deutschen und österreichischen Donauraum als Arbeits-, Fischer- und Freizeitboot.

4 Der religiöse Rationalismus, eine im Zeitalter der Aufklärung (Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts) aufkommende theologische Richtung der Denkweise, die allein das rationale Denken (Vernunft) als Erkenntnisquelle zulässt.
Man kam zur Überzeugung, dass die Struktur der Welt der Vernunft gemäß, das heißt von logischer, gesetzmäßig berechenbarer Beschaffenheit sei.
Der Rationalismus hatte, besonders in der Religionswissenschaft und protestantischen Theologie (Überprüfung der Glaubenslehre an den Maßstäben der Vernunft, Umdeutung der Dogmen in Vernunftwahrheiten und der Wunder in natürliche Vorgänge) vom 17. bis zum 19. Jahrhundert tief greifende Wirkungen.

5 Todesinsel = auf dieser Insel waren nach der Eroberung Ismajils durch die russische Armee 1790 (7. Russsich-Osmanischen Krieg von 1787–1792) und 1808 (8. Russsich-Osmanischen Krieg von 1806–1812) die Leichen von rund 20.000 gefallenen Soldaten nur oberflächlich verscharrt worden. Als die erschöpften Auswanderer ihre Zelte aufstellen wollten, stießen sie auf Berge von Skeletten und Knochen, die überall aus der Erde ragten.

6 Hoffnungstal (ukrainisch: Цебрикове/Zebrykowe; russisch: Цебриково/Zebrikowo) wurde 1819 von 64 Familien aus Württemberg (aus den Oberämtern Waiblingen, Backnang, Marbach, Kirchheim, Esslingen gegründet.
Es waren Chiliasten, die im Mai und Juni 1817 nach Ulm abreisten und in zwei Zügen, geleitet von Johann Leibbrandt und Jakob Lutz, auf der Donau über Wien, Ofen, Orsowa und Galatz nach Monaten in Odessa ankamen. Sie wollten an den Bergungsort im Südkaukasus, in der Nähe des Berges Ararat. Die Siedler zogen in zwei Zügen, den einen führte Johann Leibbrandt, den anderen Jakob Lutz.
Als Grund für die Auswanderung sind neben wirtschaftlichen Gründen (Steuern, Sorge um den alltäglichen Lebensunterhalt) vor allem religiöse Gründe zu nennen. Vor ihrer Abreise wurde den Siedlern per Ukas die freie Religionsausübung in Russland zugesichert.
Die Gründerfamilien waren: Ackermann, Aikele, Alber, Aldinger, Attinger, Bahmuller, Bamesberger, Bauder, Bauer, Baumann, Beck, Beutel, Binder, Birkle, Bitsch, Blumbardt, Bollinger, Bonekemper, Breisch, Brose, Diegel, Dobler, Ehrmann, Eider, Eisenmann, Ensinger, Erlenbusch, Fiechtner, Fischer, Fritz, Gall, Georg, Hagenlocher, Harsch, Heer, Heiser, Hilt, Hoffmann, Holzwarth, Kaup, Kienzle, Klopfer, Klotz, Knecht, Knoll, Konrad, Kubler, Kunz, Lachenmeier, Leibbrandt, Lutz, Mauch, Mauser, Metzger, Meyer, Murschel, Naher, Off, Ormann, Ottenbacher, Raff, Reuer, Rosin, Rub, Ruess, Sauer, Schaffert, Schick, Schick, Schlecht, Schlichenmeyer, Schmied, Schock, Schwaderer, Siegle, Steinbach, Stocker, Troster, Wagner, Wagner, Wall, Weiss, Weller, Wohlgemuth, Zick und Zweigardt.
1837 wurde das Kirchspiel Hoffnungstal gegründet, dem 19 deutsche Gemeinden mit 4.212 Eingepfarrten angehörten. Zwischen 1840/42 wurde im Ort eine Kirche gebaut, die 1847 eine Orgel erhielt. Um 1850 wurde der Bau eines Schulgebäudes für 250 Schüler abgeschlossen. 1912 unterrichteten sechs Lehrer 283 Schüler. Pastor von 1911 - 1918 war Immanuel Winkler. Neben der Volksschule gab es auch eine Zentralschule. 1835 erhielt die Kolonie das Recht alle 2 Wochen einen Markt abzuhalten. Vor der Revolution gab es im Dorf eine kleine Kreditgesellschaft und einen Konsumverein/-laden;. Für die medizinische Versorgung gab es einen Arzt, einen Feldscher sowie eine Apotheke. Die Kolonie gehörte zum Großliebentaler Gebiet, in dem zwischen 1804 und 1834 eine ganze Reihe von Mutterkolonien entstanden. 1926 gab es im Ort einen Konsumverein/-laden, ein Rayon-Bauernhaim und eine 7-klassige Schule.
Zwischen 1937 und 1938 wurden insgesamt 76 Einwohner verhaftet, von denen 25 zu mehrjährigen Haftstrafen und 51 zum Tode verurteilt wurden.

 

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