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Die Roma1 unter russischer Herrschaft

(Teil 3 von 4)

L. Belyankin: bessarabische Zigeuner
L. Belyankin: bessarabische Zigeuner

der östliche Teil Moldawiens zwischen Prut und Dnister kam 1812 unter russische Herrschaft und wurde Bessarabien genannt.

Im Unterschied zu vielen anderen Ländern wurden die Roma im Russischen Reich nicht als „Problem“ betrachtet. Die Situation der bessarabischen Roma unterschied sich auch von denen in den übrigen Teilen des Russischen Reiches.

So gab es für die Roma in Bessarabien verschiedene Möglichkeiten, in die Strukturen des Russischen Reiches integriert zu werden; sie durften die Art ihrer Integration weitgehend selbst wählen. 1818 wurden provisorische Statuten für Bessarabien beschlossen, die die Situation der Roma in dieser Region regelten.

Dafür wurden die Roma in zwei Hauptkategorien eingeteilt, von denen eine direkt dem Staat unterstellt war (die ehemaligen „Sklaven des Fürsten“ oder „Sklaven der Krone“), während die übrigen zu Klöstern oder Privatpersonen gehörten (die früheren „Sklaven der Klöster“ und „Sklaven der Adeligen“).

Ludovic Bassarab: Kesselflicker
Ludovic Bassarab: Kesselflicker

Für die ehemaligen „Sklaven des Fürsten“ wurde 1818 das „Amt der Zigeuner der Krone“ gegründet, das die Roma, unabhängig davon, ob sie nomadisch oder sesshaft waren, als „Staatsbauern2“ registrierte, was (zumindest auf dem Papier) einen festen Wohnsitz erforderte.

Das neue Amt befasste sich auch mit jenen Roma, die ihren moldauischen Herren (Adel oder Klerus) entflohen und aus den Fürstentümern Walachei und Moldau eingewandert waren. Das „Amt der Zigeuner der Krone“ versuchte, die Lebensweise der fahrenden Roma zu regeln und unterschied dabei verschiedene Kategorien von nomadischen Roma.

Rubel aus dem Jahr 1839
Rubel aus dem Jahr 1839

Unabhängig davon, ob sie sesshaft oder nomadisch waren, mussten die „Zigeuner der Krone“ eine jährliche Kopfsteuer (Obrok) zahlen, die von jeder Roma-Familie zu entrichten war und von den 1830er Jahren an 10 Rubel betrug.

Budschak
Budschak

Im Zuge der russischen Siedlungspolitik die fast menschenleeren eroberten Steppenregion Südbessarabiens, des Budschaks (Tatarisch: Winkel, Dreieck), zu kolonisieren, wurden viele neue Siedlungen nach ethnischen Gesichtspunkten geschaffen.
Man versuchte auch die Roma sesshaft werden zu lassen.

 

Zigeuner

Der Übergang zu einer sesshaften Lebensweise war allerdings freiwillig. Die Roma waren keinen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt, wie es z. B. in Österreich-Ungarn und in Spanien der Fall war. Die behördlichen Bestrebungen, die in Bessarabien eine raschere Eintragung der Roma in den höheren Stand der „Staatsbauern“ sicher stellen sollten, standen in engem Zusammenhang mit der Absicht, die Steppe im Budschak zu besiedeln und urbar zu machen.

Im Zuge der Umsetzung dieser Politik wurde den „Zigeunern der Krone“, wie den anderen Kolonisten, 1826 eine Reihe von Privilegien zugestanden:

  • Autonomie in der Wahl ihrer Lebensweise (nomadisch oder sesshaft)
  • Wahl ihres Wohnortes (in Städten, in Siedlungen der staatlichen Kolonisten, oder in eigenen Siedlungen, die sie selbst im Süden gründen konnten)
  • Befreiung von einigen militärischen Pflichten
  • Land und Werkzeuge zur Bearbeitung
  • staatliche Unterstützungen
  • Steuererleichterungen das Recht
  • eigene Märkte zu betreiben und anderes mehr.

Trotz der Prvilegien gaben rund 800 Roma-Familien in Bessarabien ihre nomadische Lebensweise nicht auf.

Wilhelm Marstrand: Zigeunertanz
Wilhelm Marstrand: Zigeunertanz

Der Staat investierte beträchtliche Mittel, um den neuen Siedlern ein Leben im Budschak zu ermöglichen.

Die ersten Roma-Siedlungen in der Steppe des Budschaks wurden 1829 gegründet. 1831 wurden weitere zwei neue Dörfer im Kreis Akkerman3 (heute Bilhorod-Dnistrowskyj) gegründet: Faraonowka (Pharaonowka, Faraoniwka, ukrainisch: Фараонівка, Фараоновка) mit 164 Familien und Kairo (ukrainisch: Каїри) mit 170 Familien. Die Wahl der Dorfnamen hing von den russischen Behörden ab und ging auf die damalige Meinung zurück, dass die „Zigeuner“ aus Ägypten stammten. Die angesiedelten Roma erhielten 9.902 Desjatinen4 Grund für ihre Ansiedlung.

 

Mihály von Munkácsy: Zigeunerlager
Mihály von Munkácsy: Zigeunerlager

Allerdings gab es beim Aufbau der Roma-Dörfer Schwierigkeiten. Die Unterschlagung der staatlichen Unterstützungen durch die korrupte Verwaltung, die bisher nomadisch oder halbnomadisch lebenden Roma, die keine Erfahrungen in der Landwirtschaft in der Bearbeitung der Steppe hatten und die mehrjährigen Missernten mit darauffolgender Hungersnot führten zu einer Reihe zusätzlicher Probleme.

Sergiy Vasylkivskiy: Donaukosake
Sergiy Vasylkivskiy: Donaukosake

Die Kolonisten gerieten in Schwierigkeiten und bald waren weitere Statusänderungen erforderlich. 1836 wurde die Bevölkerung einiger Kolonistendörfer der Armee der Donaukosaken5 als Grenzsoldaten angegliedert.

Dieser neue Status bedeutete zusätzliche staatsbürgerliche und vor allem wirtschaftliche Privilegien im Austausch für gewisse militärische Pflichten. Diese Änderungen betrafen auch nomadische Roma und durch eine Sonderverordnung von Nikolaus I. vom 29. Mai 1839 wurden 1.538 sesshafte Roma (Männer und Frauen aus Faraonowka und Kairo) gemeinsam mit rund 1.600 nomadischen Roma aus Bessarabien in die Armee der Donaukosaken eingetragen und die beiden Romadörfer wurden Kosaken-Staniza (Kosakensiedlungen).

 

Aus einer Volkszählung von 1856 geht hervor, dass in Bessarabien rund 990.000 Menschen lebten, darunter:

  • 736.000 Rumänen (74,3 %)
  • 254.000 Nichtrumänen (25,7 %) davon:
    • 87.100 Ukrainer (8,8 %)
    • 79.200 Juden (8 %)
    • 47.500 Bulgaren6 und Gagausen7 (4,8 %)
    • 23.800 Deutsche 2,4 %)
    • 10.900 Zigeuner (1,1 %)
    • 5.500 Russen (0,6 %)

 

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1 Roma = vielfach verwendete Eigenbezeichnung für die Zigeuner. Im engeren Sinn wird die Bezeichnung Bezeichnung Roma überwiegend für Gruppen südosteuropäischer Herkunft gebraucht.

2 Staatsbauern wurden auch als "Kronsbauern " bezeichnet und galten offiziell als Leibeigene des Staates (im Gegensatz zu den Leibeigenen der Landbesitzer). Sie verfügten über mehr Freiheiten als man denkt. So konnten die Staatsbauern Land erwerben, durften aber keine Leibeigenen besitzen. Die Staatsbauern wurden auch dazu berechtigt ihren Status aufzugeben und in die Stadt zu ziehen. Die “Leibeigenen des Staates“ waren dem Staat aber auf vielerlei Weise verpflichtet: sie konnten in die Armee eingezogen werden, mussten Steuern entrichten und Pacht für das vom Staat zur Verfügung gestellte Land zahlen.

3 Akkerman = die 600 v. Chr. von den ionischen Griechen gegründete Stadt Tyras gehört zu den ältesten Städten der Welt; die Phönizer nannten sie Ophiussa, die Griechen Makaphon und ab 400 vor Chr. wurde sie Tyras (nach dem gleichnamigen Fluss) genannt. In römischer Zeit hieß die Stadt Alba Julia; die slawischen Stämme nannten sie Belgorod (weiße Stadt), seit dem 10. Jahrhundert sind die Namen Maurocastro und Aspocastro bekannt; die Kumanen bezeichneten die Stadt im 12. Jahrhundert als Barmunia und Ak-Libo; Ende des 13. Jahrhunderts bekam sie den Namen moncastro oder Malvocastro. Unter den moldauischen Fürsten gehörte die Stadt, jetzt Cetatea Albă (weiße Zitadelle) genannt, zu einem Verteidigungsgürtel gegen die Mongoleneinfälle. Nach der Eroberung 1484 durch türkische Heere hieß sie Akkerman (aq = weiß und kerman = Stadt). Nach dem Anschluss Bessarabiens an Rumänien (1918) erhielt die Stadt wieder ihren moldauische Namen Cetatea Albă. Heute heißt sie Bolgorod Dnjestrowski.

4 Desjatine = alte russ. Flächeneinheit, entspricht ungefähr 1,0925 ha.

5 Die Donaukosaken, ehemalige Saporoger Kosaken, später Neurussische Kosaken genannt, die aus Moldauern, Bulgaren und den aus dem Osmanischen Reich (westlich der Donau) zurückkehrenden Saporoger Kosaken 1829 formiert waren, hatten ihre Ansiedlungen in Bessarabien und wurden 1868 ganz aufgehoben.

6 Bulgaren = einzelne bulgarische Familien kamen schon 1770, 1790 und 1806 als Emigranten in die Gegend von Ismail, in den Budschak nach Südbessarabien, um Schutz vor dem Osmanischen Reich zu finden. 1812, nachdem Bessarabien zum Russischen kam, lebten bulgarische Kolonisten in 60 Dörfern Bessarabiens.
Größere Gruppen wanderten im Rahmen der russischen Ansiedlungen nach der endgültigen russischen Übernahme von 1812 ein. Sie ließen sich westlich von Ismajil bei der Stadt Bolgrad und auf den von den Tataren verlassenen Gebieten im Süden nieder.
1819 erhielten die 24.000 in Bessarabien lebenden Bulgaren eine Selbstverwaltung und den Kolonistenstatus, der mit Privilegien verbunden war. 1927 lebten zirka 150.000 Bulgaren in Bessarabien.

7 Gagausen = Volksgruppe in Moldawien; als Vorfahren der Gagausen gelten z.T. die Turkölker der Petschenegen, Uzen, Torken und Polovcer, z.T. auch die Kumanen.

 

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